Das Stück, die Story
Ist eine kluge Komödie um SchweizerInnen, ItalienerInnen und Fussball, gespickt mit originalen Texten und Dokumenten, kurz vor der Abstimmung über die Überfremdungsinitiative von 1970.
Die Volksabstimmung über die «Schwarzenbach-Initiative» steht bevor. Die «Tschinggen» kommen zu Tausenden zu uns, nicht aus Vergnügen, sondern aus purer Not. Hier wollen sie ein paar Jahre arbeiten und Geld verdienen, damit es ihre Kinder einmal besser haben. Viele Schweizer sehen darin ein Problem: Sie wollen sie zurückschicken.
Am selben Abstimmungs-Wochenende findet das traditionelle Grümpelturnier statt, das Baumeister Hutter mit seinen Ragazzi um jeden Preis gegen die Schweizer Sicherheitsfirma von Frick gewinnen will.
Doch Fortunato, sein bester Stürmer, liegt mit einer Kopfverletzung im Krankenhaus. Bett an Bett mit dem «Tschingge-Hasser» Scheidegger. Cinzia, Gaetano, Rosanna und Salvatore, die als EmigrantInnen vor Jahren ihre Heimat verlassen haben, um in der Schweiz ein Auskommen zu suchen, erzählen von ihren Erfahrungen als fremde Arbeitskräfte. Als Verwandte von Fortunato sind sie mit der inneren Geschichte eng verknüpft. Italienische Schlager aus den 60ern werden gesungen, Volksstimmen zetern über die Ausländer, und die Fremdenpolizei verkündet, wie sich Ausländer in der Schweiz zu benehmen haben. Ein eifersüchtiger Arzt, ein Abführmittel, sowie ein verschwundener Kater treiben schliesslich die Emotionen auf den Höhepunkt. Am Abstimmungs-Sonntag beim Finalspiel des Grümpelturniers fallen die Entscheidungen: Wer gewinnt was?
Neben dieser Geschichte im Zentrum des Stücks treten Emigrantinnen und Emigranten auf, welche vor Jahren ihre Heimat verlassen haben, um in der Schweiz ein Auskommen zu suchen. Sie sind dabei einen Teil des Raumes mit Liegen auszustatten. Nach und nach stellt es sich heraus, dass es sich um Mitglieder des italienischen Blutspendevereins AVIS handelt. Die zwei italienischen Paare erzählen dabei von ihren Erfahrungen als fremde Arbeitskräfte in der Schweiz. Sie sind als Verwandte von Fortunato mit der inneren Geschichte verknüpft.
Der frühere Berner Fremdenpolizei-Chef Marc Virot hatte genaue Vorstellungen, wie der perfekt assimilierte Ausländer sein sollte – und vor allem, wie er nicht sein sollte. «Wir möchten ganz allgemein, dass sich die Ausländer anständig, gut erzogen und zivilisiert verhalten, also nicht grölen, sich betrinken und Skandal erregen, im Kino nicht alles laut kommentieren und mit Esswaren Lärm erzeugen (…), Frauen nicht belästigen, die Strassen und Wohnungen nicht verunreinigen (…)», schreibt er 1968 in seinem Buch «Vom Anderssein zur Assimilation».
Das ist kein theatral überhöhtes Zitat zur Belustigung des Publikums, sondern historisches Material. Der Autor Adrian Meyer hat es bei der Recherche für sein Theaterstück «Tschingge» aus der Mottenkiste gegraben. «Der Ausländer kann assimiliert sein und trotzdem Olivenöl verwenden. Wir dürfen nicht verlangen, dass er statt Chianti und Rioja wie wir französischen Wein und Coca-Cola trinkt. Wenn er aber Vogelfallen aufstellt, bleibt er ein Fremder», fährt der Polizei-Chef darin munter in seiner Aufzählung zum unangepassten Ausländer fort.
Das Lachen über solche kruden Vorstellungen bleibt manchem Zuschauer im Hals stecken. Heute sind italienische Küche oder Musik längst ein Teil der Schweizer Kultur. Italiener sind längst eine Bereicherung für die Schweiz. Die Vorurteile haben sich auf andere Kulturen verschoben.
Das Stück ist nie belehrend oder moralisierend. Es ist eine Komödie mit dokumentarischen Einsprengseln. Es wurde in den letzten 10 Jahren an mindestens einem Dutzend Amateurbühnen mit sehr grossem Erfolg aufgeführt und ist gerade heute wieder brandaktuell.
Die weiteren Einwanderungswellen in die Schweiz thematisiert das Stück nicht. Diese werden Bestimmtheit mit in den Köpfen der Zuschauerinnen und Zuschauer wach. Heute sind wir mit verschiedenen Migrationskulturen konfrontiert und werden in den nächsten Jahren mit gewaltigen Flüchtlingswellen konfrontiert werden.
In welcher Zeit spielt das Stück?
Pizza, Pasta und Prosecco möchte heute kein Schweizer missen. Das war nicht immer so. Vor der Abstimmung über das Asyl- und Ausländergesetz lohnt sich ein Blick zurück in die Zeit, als Überfremdungsangst und James Schwarzenbach das Land spalteten.
Zürich erlebte eine seltsame Zeit, damals, von den frühen Sechzigerjahren bis tief in die Siebziger hinein. So zog Werner Wenk, ein einfacher Bauarbeiter, wochenlang als Wilhelm Tell verkleidet, mit einer geschulterten Armbrust durch die Stadt, pöbelte die Leute an, fluchte und wetterte gegen die «Tschinggen». Eine seltsame, faschistische Stimmung machte sich breit. Die italienischen Bauarbeiter waren verunsichert, ängstigten sich, wenn sie sich auf Bahnhöfen trafen, betrachteten die Schweizer misstrauisch, ratlos.
Die von den Baufirmen angeworbenen «Tschinggen» lebten ausserhalb der Dörfer und Städte, von den Baumeistern mit dem Argument «Die gehen ja alle bald wieder nach Hause!» in Baracken untergebracht. Auch die Behörden argumentierten so, wenn man es wagte für die «Fremdarbeiter» anständige Unterkünfte zu fordern. Man wollte sie nicht, am liebsten sah man sie, wenn sie fleissig arbeiteten.
Und wo stehen wir heute? Ist sich die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer unserer humanistischen Tradition noch bewusst? Haben wir alles vergessen und nichts gelernt aus der Hysterie vor drei, vier Jahrzehnten? Oder erinnern wir uns daran, dass die verhassten «Tschinggen» heute so selbstverständlich zur Schweiz gehören und zu ihrer kulturellen Vielfalt beitragen, dass nicht mal die Ewiggestrigen sie raushaben möchten? Und dass das mit den Ausländern, die jetzt neu ins Land kommen, genau gleich sein wird?
JG 30.4.16
Die Schwarzenbach Initiative
Am 7. Juni 1970 stimmte die Schweiz über die Überfremdungsinitiative von James Schwarzenbach ab.
Kaum ein Abstimmungskampf hat die Schweiz je so aufgewühlt. Das Stimmvolk musste entscheiden, ob es 300‘000 Ausländerinnen und Ausländer aus der Schweiz wegweisen wolle. Die Wogen der Ausländerfeindlichkeit schlugen hoch. Wortführer der Initiative war James Schwarzenbach, Nationalrat und Vorsitzender der „Nationalen Aktion gegen Überfremdung von Volk und Heimat“.
Er warf der Wirtschaft vor, sie habe in ihrer Unersättlichkeit immer mehr ausländische Arbeitskräfte in die Schweiz geholt. Schwarzenbach fand viel Unterstützung in der Arbeiterschaft, aber auch in fremdenfeindlichen Kreisen. Zu den Gegnern gehörten nebst fremdenfreundlichen Bürgerinnen und Bürgern, Bundesrat, Parlament, Parteien, Gewerkschaften, Industrie- und Wirtschaftsverbände und die Kirchen. Also diejenigen, die in der Politik tonangebend waren, stimmten ohne Wenn und Aber gegen Schwarzenbachs Überfremdungsinitiative, die den Anteil der ausländischen Bevölkerung in allen Kantonen auf 10 Prozent begrenzen wollte. Im Bundeshaus fand sich neben Schwarzenbach kein weiterer Parlamentarier, der seine Idee unterstützen wollte.
Bei einer ausserordentlich hohen Stimmbeteiligung von 74 % wurde die Initiative mit 46 % Ja gegen 54 % Nein verworfen. Die Schweizer Frauen waren damals noch nicht stimmberechtigt!
Die Ausländerpolitik ist seither ein wiederkehrendes politisches Thema.
Im Kanton Appenzell I. Rh. wurde die Initiative ganz knapp abgelehnt; 1181 Männer stimmten Nein, 1169 stimmten Ja (Stimmbeteiligung 63,3 %). Die Bezirke Appenzell, Rüte und Schlatt-Haslen verwarfen die Initiative, die Bezirke Schwende, Gonten und Oberegg bejahten sie.